Wilfried Seiring, ehemaliger Leiter des Landesschulamtes Berlin, gehört zu den Erstunterzeichnern des Aufrufes zum Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes. Sein Engagement begründet er heute wie folgt:
„Die Pädagogen haben eine Vorbildfunktion. Das demonstrative Zeigen von Schmuck- oder Kleidungsstücken, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion ausdrückt, widerspricht dem. Das gilt für das Kreuz wie auch für Kippa oder das Kopftuch….
… ist es wünschenswert, Lehrkräfte mit Migrationshintergrund einzustellen, denn integrierte, emanzipierte muslimische Lehrerinnen sind für Schülerinnen und Schüler ein sichtbares Zeichen, dass in der Berliner Schule Pädagoginnen unabhängig von ihrer Kultur und Religionszugehörigkeit arbeiten können. Seit langem sind sie in unseren Schulen tätig und hilfreich bei all den Bemühungen um Integration und um eine weltoffene Schule.“
Wilfried Seiring
Für weltoffene, weltanschaulich und religiös neutrale Erziehung
Erschüttert nehmen wir die Meldung zur Kenntnis, wonach auf einem Schlauchboot voller Geflüchteter, die dem Terror, dem Krieg, der Verfolgung eben entkamen, „aus religiösem Hass“ (Frankfurter Rundschau vom 04.03.18) ein Streit ausbrach; am Ende wurden 12 Tote über Bord geworfen.
Ebenso betroffen reagiert der Leser, wenn er seiner Morgenzeitung entnimmt, dass ein Schüler die Schule wechseln musste, weil er das Beschimpfen als „Jude“ nicht mehr aushielt. Ja, Mobbing auf dem Schulhof, auf dem Schulweg, auch in den Klassen mit religiösem oder ethnischem Hintergrund hat zugenommen, belastet Pädagogen und Eltern und ist Thema in Schulkon- ferenzen geworden. Der Schulfriede wurde gestört.
Als eine Lehrerin demonstrativ ein Kreuz trug, verlangte die Schulleitung es abzunehmen, gestützt von der Senatsverwaltung, mit eben der Begründung: der Schulfriede würde gestört. Mit ähnlicher Begründung beschied ich einst einen Bhagwan-Jünger, der in seiner spezifischen Gewandung vor der Klasse stehen wollte. Und die gleiche Begründung müsste sich ein Anhänger der Scientology Sekte anhören, wenn er seine Symbole im Unterricht tragen würde.
Die Pädagogen haben eine Vorbildfunktion. Das demonstrative Zeigen von Schmuck- oder Kleidungsstücken, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion ausdrückt, widerspricht dem. Das gilt für das Kreuz wie auch für Kippa oder das Kopftuch. Das Tragen eines Kopftuches, das weltweit gerade nicht für die „Gleichstellung der Geschlechter“ steht, widerspricht dem Vorbildcharakter im Sinne des Schulgesetzes. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass es Frauen gibt, die das Kopftuch selbstbestimmt oder aus modischen Gründen tragen.
Das hat auch nichts mit einem Berufsverbot zu tun. Im Gegenteil muss man sich fragen, ob angesichts des legitimen Anspruchs auf Neutralität mit dem demonstrativen Zeigen des eigenen religiösen Symbols der erforderliche Respekt gegenüber den anders Gläubigen fehlt, was einen Zweifel an der Eignung für ein öffentliches Amt aufkommen lässt.
Und ich denke an meinen Schulbesuch letztens: Ein Mädchen weint, die anderen wollen in der Pause seit gestern nicht mit ihm spielen. Befragt warum, bekomme ich zunächst keine Antwort, verlegenes Lachen in der Runde. Ein Drittklässler blinzelt und sagt: Sie ist keine gute Muslima. Ich bin bestürzt, frage überrascht: Was, gibt es das wirklich? Die Kinder laufen weg.
Meine Fragen beantwortet die Erzieherin mit dem Hinweis, dass es seit einem Jahr fast in jeder Woche einen Anlass für Streitereien gibt, Konflikte zu schlichten seien, und meist ginge es um das Kopftuch. Die Eltern seien schlimmer als die Kinder, und besonders die Großeltern seien polarisierend, bestätigt die Schulleiterin auf meine Nachfrage. Immer sei die Forderung nach halal da, ob das ein Schinkenbrötchen sei, das in Frage gestellt wird oder das Gummibärchen, in dem angeblich Schwein verarbeitet sei; und im Hintergrund der Imam, die Koranschulen und manchmal auch die älteren Brüder. Die Integration bleibe auf der Strecke, das friedvolle Zusammenleben ebenfalls.
Aber auch das Schulgesetz, natürlich auch das Berliner Neutralitätsgesetz, für dessen Erhalt ich mich mit vielen Gleichgesinnten in der Initiative „PRO Berliner Neutralitätsgesetz“ einsetze. Unter den Unterstützern sind Lehrer, Sozialpädagogen, Erzieher und Schulleiter, Gewerkschaftler und Wissenschaftler, Muslime und Christen, alte und junge Mitbürger, es ist ein breiter Querschnitt durch die Bevölkerung, der für den Erhalt einer weltanschaulich und religiös neutralen Schule eintritt.
Wir haben in den Berliner Schulen Kinder von Eltern aus 190 Nationen, Kinder aus Elternhäusern mit sehr verschiedenen religiösen Bekenntnissen, ja ca. 60 Prozent ohne eine religiöse Zugehörigkeit. Alle haben einen Anspruch, von ihren Lehrkräften gemäß Paragraf 1 des Schulgesetzes unterrichtet zu werden, gefördert auf der Basis weltanschaulicher und religiöser Neutralität, gestützt auf die Werte der Aufklärung, wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Toleranz und die Abkehr von jeder Art von Indoktrination.
Ich sage dazu aus Überzeugung JA.
Das ist auch ein Ja zum Paragraf 1 des Schulgesetzes, in dem es heißt: „Ziel muss die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde, der Gleichstellung der Geschlechter und im Einklang mit Natur und Umwelt zu gestalten.“
Ich denke wieder an das weinende Mädchen, an Yasemin – aber auch an ältere, die sich emanzipieren wollen, emanzipieren mit dem Ziel, in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft anzukommen, ohne die Wurzeln zu verleugnen, ohne die Kämpfe in der Familie, ob man eine gute oder schlechte Muslima sei, wenn man kein Kopftuch trägt. Ich denke an friedvolles Zusammenleben und an eine Gesellschaft, die Kinder vor Diskriminierung schützt. Auch deshalb ist es wünschenswert, Lehrkräfte mit Migrationshintergrund einzustellen, denn integrierte, emanzipierte muslimische Lehrerinnen sind für Schülerinnen und Schüler ein sichtbares Zeichen, dass in der Berliner Schule Pädagoginnen unabhängig von ihrer Kultur und Religionszugehörigkeit arbeiten können. Seit langem sind sie in unseren Schulen tätig und hilfreich bei all den Bemühungen um Integration und um eine weltoffene Schule.
Der Zufall hat sein Spiel: Gerade eben sendet die „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“ einen Hinweis auf den gestern erschienenen Leitfaden zur Diskriminierung an Schulen. Und ich lese mit Genugtuung: „Der Schutz vor Diskriminierung ist dabei ein zentrales Thema, denn Schulen sind Orte, an denen Kinder lernen können, wie wichtig ein gleichberechtigter und fairer Umgang miteinander ist. Schule kann aber zugleich auch der Ort sein, an dem Kinder zum ersten Mal Diskriminierung erfahren – sei es durch Gleichaltrige, durch Lehrkräfte oder auch durch diskriminierende Strukturen.“
Wilfried Seiring
Leiter Landesschulamt a.D. (bis 1998), danach Direktor des Ausbildungsinstituts beim Humanistischen Verband (HVD), Sprecher des Kreidekreises Berliner Schulpädagogen
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