Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Mitte Januar, eine Beschwerde des Landes Berlin gegen ein entsprechendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht zur Entscheidung anzunehmen, verbreiten islamische Verbände erneut Desinformationen zum Neutralitätsgesetz.
Daher nochmal zur Klarstellung: Das Gesetz richtet sich weder gegen muslimische Frauen mit Kopftuch noch wurde es jemals vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig eingestuft. Vielmehr mahnt das Bundesverfassungsgericht an, dass eine Gefahr für den öffentlichen Frieden in jedem Einzelfall konkret zu begründen sei.
Die Klarstellung von Frauen für Freiheit zur Kritik am Berliner Neutralitätsgesetz:
1. Das Neutralitätsgesetz betrifft sämtliche weltanschauliche und religiöse Symbole, nicht nur das Kopftuch, und zwar bei allen Staatsvertretern. Also Polizisten, Richterinnen, Lehrer… Es verlangt, das staatliche Vertreter bei ihrer Amtsausübung ihre Funktion über sämtliche andere Überzeugungen stellen. Bspw. darf eine Polizistin russisch-orthodoxen Glaubens die Angaben des Patriarchen zu Homosexualität in ihrer Funktion nicht über die Rechte von Homosexuellen stellen. Die Neutralität des Staates soll auch visuell bei Staatsvertretern garantiert werden. Gerade in einer multikulturellen Stadt wie Berlin ist dies äußerst wichtig. Wer wegen z.B. seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung flüchten musste, sollte in Berlin nicht befürchten müssen, im Gerichtssaal oder bei Amtspersonen religiösen Zeichen zu begegnen, die Angst auslösen könnten.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat das Neutralitätsgesetz nicht für rechtswidrig erklärt, sondern verlangt, dass ein Verbot von religiösen Symbolen jeweils individuell mit der jeweils gegebenen Gefahr für den öffentlichen Frieden begründet werden muss. Bedeutet konkret, dass Schulen einzeln erklären müssten, dass Schülerinnen bedroht werden, wenn sie bspw. das Kopftuch ablegen. Dies überfordert Schulleitungen und würde zu Chaos führen, wenn tatsächlich jede einzelne Schule die Regeln jeweils ändern müsste, um Mädchen zu schützen. Denn ja, das Phänomen der Drohungen trifft nach wie vor vor allem Mädchen aus islamischen Gemeinschaften, die sich Extremisten nicht beugen wollen. Den Reformbedarf des Neutralitätsgesetzes hat der Rechtsanwalt Erol Özkaraca 2019 in einer Fachveranstaltung bei Frauen für Freiheit erklärt: https://frauenfuerfreiheit.de/Kurzbericht-Was-ist-uns-die-staatliche-Neutralitaet-wert–91817.html
3. Neutralität an Schulen: Die meisten Musliminnen in Deutschland tragen kein Kopftuch, laut Mediendienst Integration über 70 Prozent. Die Gleichsetzung von „Muslimin“ = „Kopftuch tragende Frau“ ist ein Stereotyp, das von fundamentalistischen bis islamistischen Aktivisten verbreitet wurde. Also betrifft das Verbot die meisten Musliminnen einfach nicht. Diejenigen Lehrerinnen, die ihren Beruf nicht wahrnehmen können, wenn sie während ihrer Lehrtätigkeit auf ein religiöses Symbol verzichten müssen, müssen sich zu recht fragen lassen, warum ihnen ihre religiöse Überzeugung wichtiger ist als ihre Verpflichtung, sich in ihrer Aufgabe weltanschaulich neutral zu verhalten.
Diese Frage ist vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass Frauen in Deutschland in Gefahr sein können, umgebracht zu werden, wenn sie das Kopftuch ablegen. Mädchen können gegen den Druck kaum geschützt werden, wenn sich die sehr wenigen Lehrerinnen mit extremistischen Verbindungen durchsetzen, die gegen das Neutralitätsgesetz vorgehen.
4. Vorwurf des Rassismus: Neben dem rassistischen Stereotyp, Musliminnen würden per se Kopftuch tragen, ist es zutiefst rassistisch, Mädchen auf Grund ihrer Herkunft nicht vor Extremisten zu schützen. Kritik an religiösen Überzeugungen ist hingegen nicht rassistisch, sondern für den Erhalt von Frauenrechten elementar.
Berlin, 10.02.2023
Rebecca Schönenbach
Vorsitzende von Frauen für Freiheit e. V.
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