Gefährdeter Schulfrieden – Berliner Neutralitätsgesetz jetzt erst recht!
Für eine ausgleichende, effektive Grundrechtsverwirklichung in unseren Schulen
Die feindseligen Auseinandersetzungen in der Welt und aktuell der Krieg im Nahen Osten haben Auswirkungen in allen Bereichen unseres Lebens, so auch in unseren Schulen. Wir sind erschrocken, dass es auf den Schulhöfen und in den Klassenräumen zu Streit gekommen ist, da doch Mädchen und Jungen aus vielen Herkunftsländern, zugehörig verschiedenen Religionen, beeinflusst von diversen Meldungen sozialer Medien und vor allem von ihren Familien in der Schule zusammenkommen. Der Schulfrieden wurde empfindlich gestört. Das muss Unterrichtsthema sein. Wir begrüßen daher sehr, dass die Schulsenatorin umgehend Beratungsangebote und Unterrichtsmaterialien in die Berliner Schulen gegeben hat, um damit die notwendige und so schwierige Arbeit der Pädagog*innen zu orientieren und zu unterstützen.
Wir verweisen auf die Gültigkeit des Schulgesetzes, denn §1 verpflichtet alle Lehrkräfte, als Ziel im Auge zu behalten: Anerkennung der Gleichberechtigung aller Menschen, Achtung vor jeder ehrlichen Überzeugung, Anerkennung der Notwendigkeit einer fortschrittlichen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie einer friedlichen Verständigung der Völker. Wenn die Lehrkräfte sich um Klärung aktueller Auseinandersetzungen bemühen, dann können alle Schülerinnen und Schüler davon ausgehen, dass bei den Diskussionen die „Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ als unverletzlich gelten, wie es unser Grundgesetz in Art.4 vorschreibt. Zugleich werden die Pädagogen die höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten haben, wonach zu den Aufgaben der Schule gehört, „den Schülerinnen und Schülern Toleranz auch gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen zu vermitteln, da Schule offen zu sein hat für christliche, für muslimische und andere religiöse und weltanschauliche Inhalte und Werte. Dieses Ideal muss im Interesse einer ausgleichenden, effektiven Grundrechtsverwirklichung in der Gemeinschaftsschule auch gelebt werden dürfen. Das gilt folgerichtig auch für das Tragen von Bekleidung, die mit Religionen in Verbindung gebracht wird, wie neben dem Kopftuch etwa der jüdischen Kippa oder dem Nonnen-Habit oder auch für Symbole wie das Kreuz.“ (Beschluss vom 2.2.2023,1BvR 1661/21)
Dagegen ist in den aktuellen Auseinandersetzungen oft verstoßen worden. Mit Sorge beobachten wir die schwere Störung des Schulfriedens durch einseitige und aggressive Losungen, durch demonstratives Zeigen von Fahnen u.a., die als Symbole einer bestimmten Dogmatik die Auseinandersetzungen eskalieren ließen und das pädagogische Bemühen beträchtlich erschwerten bzw. oft auch scheitern ließen. Das kann die tolerante Gemeinschaft von Demokraten nicht hinnehmen.
Unser Anliegen zu neutraler Kleidung für Pädagog*innen im Schulleben und damit die Verteidigung der Gültigkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes auch für den Schulbereich ist keineswegs als Diskriminierung von Menschen mit religiöser Überzeugung oder speziell das muslimische Kopftuch tragende Frauen zu deuten, wie immer wieder unterstellt wird. Die „Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz“ hat dies vielfach begründet zurückgewiesen. Wir kennen die unterschwelligen, zum Teil auch offenen Auseinandersetzungen, die in unseren Schulklassen zwischen mehr oder weniger religiös orientierten Schüler*innen und zum Teil auch über ihre Eltern stattfinden. Friedenstiftende Pädagog*innen brauchen die sichtbare Neutralität. Gerade in der aktuellen politisch aufgewühlten Situation in Folge des Nahost-Krieges wird dies umso bedeutsamer. Unsere Verfassung ermöglicht Privatschulen besonderer, auch religiöser Prägung, in denen Lehrkräfte, die ihre entsprechende Überzeugung sichtbar vermittels Nonnen-Habit, Kopftuch, Kippa o.a. tragen wollen, selbstverständlich arbeiten können. Die Initiative setzt sich weiterhin entschieden dafür ein, dass auf diese Weise Diversität UND Neutralität im staatlichen Schulwesen erhalten bleiben.
Religiös konnotierte Kleidungsstücke senden Botschaften aus – das Kopftuch, die Kippa, die Kreuzkette, das Nonnen-Habit, sie können als Provokation wahrgenommen oder genutzt werden und damit den Schulfrieden und die politisch oder religiös neutrale Unterrichts- und Schulatmosphäre stören.
Das Berliner Neutralitätsgesetz hat einen wichtigen Beitrag zur friedlichen Gestaltung des Schullebens geleistet; die Idee dieses Anliegens vertritt die „Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz“ aus aktuellem Anlass verstärkt. Dieses Gesetz garantierte staatliche Neutralität da, wo Menschen der Staatsgewalt nicht ausweichen können. Deshalb sollten auch Pädagog*innen weiterhin keine politisch, religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole in der Schule tragen. Eine solche Haltung, unterstützt durch die Schulaufsicht und die oberste Dienstbehörde, ist für den gesellschaftlichen Frieden in einer Stadt wie Berlin mit über 250 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und mit einem Anteil von über 60 Prozent konfessionsloser Menschen an der Gesamtbevölkerung weiterhin unabdingbar. Die christlichen Religionsgemeinschaften, die jüdische Gemeinde und die islamischen Verbände rufen wir auf, im Sinne unseres Grundgesetzes, des Schulgesetzes und der Gebote der Toleranz die Neutralität der Schulen aktiv zu unterstützen.
Im ersten Halbjahr 2024 wird die Berliner SPD auf einem Parteitag ihre Position zum Neutralitätsgesetz neu verhandeln. Es liegen dort Anträge zur gänzlichen Abschaffung des Gesetzes vor. Dies hält die „Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz“ für hochproblematisch. Ein entsprechender Antrag an den Parteitag von Bündnis90 / Die Grünen Anfang Dezember 2023 wurde, nachdem ein Gegenantrag von den Säkularen Grünen gestellt worden war, zurückgezogen. Dies schließt nicht aus, dass ein solcher Antrag im Laufe des Jahres 2024 wieder gestellt werden wird.
Die Berliner Landesregierung arbeitet aktuell an der Auslegung des Neutralitätsgesetz auch für die Berliner Schulen. Es geht um den Erhalt des Schulfriedens.
Die „Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz“ unterstützt deshalb alle, die am Neutralitätsgesetz festhalten, es ausdehnen und ihm weiter Geltung verschaffen wollen.
Berlin, 15.01.2024
Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz
Winfried Seiring
Ulla Widmer-Rockstroh Michael Hammerbacher Walter Otte
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