Mit einem Schreiben haben sich die Sprecher*innen der Initiative an die Verhandlungsgruppen von CDU und SPD für einen Koalitionsvertrag gewandt. Sie fordern den vollständigen Erhalt des bewährten Gesetzes bei schonendster Anpassung an die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts für den Schulbereich. Es sollte – wenn irgendmöglich – der Weg zum Europäischen Gerichtshof beschritten werden, um die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts zu beseitigen.
Angeregt wird zudem eine Ausweitung des Gesetzes auf den Berufsschulbereich, in dem ebenfalls die Schüler*innen geschützt werden müssen – auch hier gilt es den Schulfrieden zu sichern und das staatliche Neutralitätsgebot zu beachten.
Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz
STELLUNGNAHME Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz
Für einen vollständigen Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes
An die Verhandlungskommissionen für einen Koalitionsvertrag von CDU und SPD
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz setzt sich – seit Jahren – für den vollständigen Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes ein.
Wir sind sehr erfreut darüber, dass CDU und SPD in Berlin am bewährten Neutralitätsgesetz des Landes Berlin festhalten wollen. Beide Parteien sollten sich durch die zumeist ebenso schrill wie sachfremd vorgetragenen Anwürfe gegen das Gesetz nicht beirren lassen.
In dem Ergebnispapier ihrer Sondierungsgespräche haben sich CDU und SPD eindeutig zum Erhalt des Neutralitätsgesetzes bekannt und festgehalten:
„Das Neutralitätsgesetz wird gerichtsfest an die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts angepasst“.*
Dies ist eine klare, eindeutige Vorgabe, die die an staatlicher Neutralität orientierte Richtung vorgibt.
Bereits in unserer Gründungserklärung haben wir zum Neutralitätsgesetz folgendes festgehalten, was nach unserer Überzeugung auch heute noch unverändert Gültigkeit hat:
„In Berlin leben Menschen aus über 190 Nationen und vielen unterschiedlichen Sozialisationen und Kulturen zusammen. Dies sehen wir als Bereicherung und zu-gleich als eine große Herausforderung an. Zusammenleben in Vielfalt gelingt nur dann, wenn wir die Vielfalt der Lebensentwürfe und Religionen / Weltanschauungen, die Individualität aller Bewohnerinnen akzeptieren und für eine demokratische Stadtkultur eintreten. Dazu bedarf es religiös und weltanschaulich neutraler staatlicher Institutionen.
Das Berliner Neutralitätsgesetz leistet einen wichtigen Beitrag zur friedlichen Gestaltung von Vielfalt: es garantiert staatliche Neutralität da, wo Menschen der Staatsgewalt nicht ausweichen können, sei es vor Gericht, bei der Polizei, im Justizvollzug oder an allgemeinbildenden Schulen. Richter*innen, Staatswält*innen, Justizmitarbeiter*innen, Polizist*innen sowie Lehrer*innen und Pädagog*innen an allgemeinbildenden Schulen dürfen keine politisch, religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole demonstrativ tragen.
Diese Regelung ist für den gesellschaftlichen Frieden in einer Stadt wie Berlin mit über 250 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und mit einem Anteil von über 60 Prozent konfessionsloser Menschen an der Gesamtbevölkerung unabdingbar. Das Berliner Neutralitätsgesetz verdient Unterstützung, auch weil es alle Religionen und Weltanschauungen gleich behandelt.“
An dieser Auffassung, die von Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen durch ihre Unterschrift unterstützt wird, halten wir ausdrücklich fest und wir würden es begrüßen, wenn diese Überzeugung auch Niederschlag im Koalitionsvertrag und der späteren Regierungsarbeit finden würde.
Wir regen an, die Forderung der Vereinigung der Leitungen berufsbildender Schulens in Berlin e.V. (BBB) vom 12.1.2018 umzusetzen: „Das Berliner Neutralitätsgesetz sollte an allen staatlichen Schulen im Land Berlin gleichermaßen gelten.“ Auch an den Berufsschulen besteht ein Anspruch auf Schutz der Schüler*innen gegen religiöse Kundgebungen seitens der Lehrer*innen.
Uns ist selbstverständlich ebenso wie den künftigen Regierungsparteien bewusst, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Berliner Neutralitätsgesetz zu respektieren ist, sofern sie rechtskräftig sein sollte. Es ist aber notwendig, die Urteile genau zu analysieren und sich nicht von interessengeleiteten Interpretationen in die Irre führen zu lassen.
Von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sind sämtliche Regelungsbereiche des Neutralitätsgesetzes außerhalb des Schulbereichs nicht betroffen, so dass sich kein aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts folgender Änderungsbedarf für die Bereiche der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei ergibt.
Entgegen manchen interessegeleiteten Fehlbehauptungen halten wir fest: Eine direkt auf das Berliner Neutralitätsgesetz bezogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist bislang nicht ergangen. Somit ist das Gesetz auch nicht verfassungswidrig, denn eine solche Feststellung könnte nur das höchste deutsche Gericht (und kein anderes) treffen.
Es wird deshalb lediglich auf die Berücksichtigung der Maßgaben des Urteils des Bundesarbeitsgerichts ankommen. Hierzu bedarf es aus unserer Sicht einerseits einer schonenden Anpassung, die Sinn und Zweck des Gesetzes berücksichtigt, andererseits aber unbedingt ergänzend der Schaffung von Voraussetzungen einer präzisen Feststellung religiös motivierter Konflikte in den einzelnen Schulen.
In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wie bereits in zuvor ergangenen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es an belastbaren gerichtsfesten Informationen über die Situation an den jeweiligen Schulen fehlt. Von religiös motiviertem Druck von Schüler*innen auf andere Schüler*nnen, von Mobbing bis hin zu Gewalt ist zwar immer wieder in der Presse zu lesen, doch es findet ganz offensichtlich keine genaue Erfassung der Vorgänge und damit auch keine auf festgestellten Tatsachen be- ruhende Bewertung der konkreten Situation an den jeweiligen Schulen statt. Das gesetzlich normierte Ziel, den Schulfrieden zu erhalten bzw. wieder herzustellen wird in Hinsicht auf die religiös konnotierten Konflikte nur dann erfolgreich sein können, wenn auch die entsprechenden Informationen über die genauen Vorgänge in den betroffenen Schulen vorliegen.
Wir halten es für unabdingbar, eine Regelung zu schaffen, in der die Senatsbildungsverwaltung die Möglichkeit eingeräumt bekommt als zuständige Behörde bei der Neueinstellung von Lehrkräften Personen, die sich dazu bekennen, deutlich sichtbare religiöse Symbole auch während des Schulunterrichtes zeigen zu wollen, nicht in solchen Schulen einzusetzen, in denen religionsfreie (migrantische oder andere) Schülerinnen, alevitische Schülerinnen sowie muslimische (liberale) Schülerinnen einem religiösen Anpassungsdruck und Mobbingmaßnahmen durch strengreligiöse Mitschüler*innen ausgesetzt sind. Sollte eine derartige Rechtssituation bereits gegeben sein, sollte sie vollumfänglich ausgeschöpft werden.
Aus unserer Sicht sollte aber zeitnah auch geprüft werden, ob die Möglichkeit besteht im Zusammenhang mit der BAG-Entscheidung den Europäischen Gerichtshof anzurufen; bei positivem Prüfungsergebnis sollte er auch eingeschaltet werden. Auf Europäischer Ebene sind bereits Entscheidungen ergangen, nach denen in Betrieben das Zeigen religiöser Symbole durch die Mitarbeitenden untersagt werden kann, wenn eine allgemeine betriebliche Regelung geschaffen wurde und nicht nur auf den Einzelfall bezogen entschieden wird. Wir sind der Auffassung, dass das, was für Privatunternehmen gilt, erst recht für den Öffentlichen Dienst gelten muss, da hier – im Gegensatz zu Privatunternehmen – der Verfassungsgrundsatz der staatlichen Neutralität zu beachten ist.
Wir betonen, dass diese Überlegung auf die gegenwärtige real feststellbare Situation in Berlin bezogen ist. Unsere Befürchtung ist jedoch, wie wir stets betont haben, dass durch eine „Lex muslimisches Kopftuch“ die durch das Berliner Neutralitätsgesetz gezogene Brandmauer gegen religiöse / weltanschauliche nonverbale Propaganda durch Lehrpersonal im Schulbereich eingerissen wird, weshalb Nachahmer aus anderen religiösen Richtungen oder missionarisch orientierte Atheisten sich auf gleiches Recht für alle berufend, während der Dienstzeit ihre jeweiligen Symbole zur Schau stellen könnten. Von dem in Berlin bekannten skurrilen Fall der von einer Jugendamtsmitarbeiterin auf ihren Arm tätowierten Swastika werden Sie Kenntnis haben. Soll künftig auch die Möglichkeit bestehen, ein solches eine budhistische bzw. hinduistische oder pagane religiöse Gesinnung ausdrückendes Symbol im Schulunterricht demonstrativ zur Schau zu stellen? Wir sagen eindeutig Nein.
Hinsichtlich des Ausbildungsdienstes von Gerichtsreferendarinnen sollte die vom früheren Justizsenator Behrendt eingeführte Regelung, der zufolge Referendarinnen während der Wahrnehmung hoheitlicher Belange offen religiöse Symbole zur Schau tragen dürfen, umgehend wieder abgeschafft werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet eine solche Regelung nicht und steht einer Abschaffung nicht entgegen. Es handelte sich um eine rein politisch motivierte Entscheidung. Wir sehen auch hierdurch das Vertrauen der Bevölkerung in das ordnungsgemäße Funktionieren der Rechtspflege und das grundgesetzliche Neutralitätsgebot als gefährdet an.
Für eine Erläuterung unserer Vorstellungen stehen wir gerne zur Verfügung.
Berlin, 14. März 2023
Für die Initiative PRO Neutralitätsgesetz
Michael Hammerbacher Ulla Widmer-Rockstroh Walter Otte
WebSite der Initiative: http://pro.neutralitaetsgesetz.de/
Hinterlasse jetzt einen Kommentar