In Berlin leben Menschen aus über 190 Nationen und vielen unterschiedlichen Sozialisationen und Kulturen zusammen. Dies sehen wir als Bereicherung und zugleich als eine große Herausforderung an. Zusammenleben in Vielfalt gelingt nur dann, wenn wir die Vielfalt der Lebensentwürfe und Religionen / Weltanschauungen, die Individualität aller Bewohner*innen akzeptieren und für eine demokratische Stadtkultur eintreten. Dazu bedarf es religiös und weltanschaulich neutraler staatlicher Institutionen.
Das Berliner Neutralitätsgesetz leistet einen wichtigen Beitrag zur friedlichen Gestaltung von Vielfalt: es garantiert staatliche Neutralität da, wo Menschen der Staatsgewalt nicht ausweichen können, sei es vor Gericht, bei der Polizei, im Justizvollzug oder an allgemeinbildenden Schulen. Richter*innen, Staatswält*innen, Justizmitarbeiter*innen, Polizist*innen sowie Lehrer*innen und Pädagog*innen an allgemeinbildenden Schulen dürfen keine politisch, religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole demonstrativ tragen. Diese Regelung ist für den gesellschaftlichen Frieden in einer Stadt wie Berlin mit über 250 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und mit einem Anteil von über 60 Prozent konfessionsloser Menschen an der Gesamtbevölkerung unabdingbar. Das Berliner Neutralitätsgesetz verdient Unterstützung, auch weil es alle Religionen und Weltanschauungen gleich behandelt.
Die Diskussionen in den vergangenen Monaten zeigen einen breiten zustimmenden Konsens pro Neutralität für die Bereiche der Justiz und der Polizei. Dieselben Maßstäbe müssen aber auch für die allgemeinbildenden Schulen gelten. Dort steht das Berliner Neutralitätsgesetz politisch unter Druck.
Die Unterzeichner*innen dieser Erklärung möchten die Berliner Bildungsverwaltung dabei unterstützen, an diesem erfolgreichen Gesetz – auch und gerade für die allgemeinbildenden Schulen – mit aller Konsequenz festzuhalten.
Für die Beibehaltung der Regelungen im Berliner Neutralitätsgesetz für die Die Erklärung unserer Initiative “Pro Berliner Neutralitätsgesetz”allgemein-bildenden Schulen mit rund 320.000 Schüler*innen an etwa 800 Schulen sprechen eine Reihe guter Gründe:
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Der staatliche Erziehungsauftrag nach dem Berliner Schulgesetz kann nur dann erfüllt werden, wenn die weltanschaulich-religiöse Neutralität und der Schutz der negativen Glaubensfreiheit der Schüler*innen lückenlos garantiert sind. Pädagog*innen, die in der Schule religiöse oder weltanschauliche Symbole tragen, gewährleisten diese Neutralität nicht.
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Das Schüler*innen-Pädagog*innen-Verhältnis ist ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Die Pädagog*innen befinden u.a. über die Versetzung und einen erfolgreichen Schulabschluss. Sie sind in der Schule Autoritätspersonen mit einem starken Einfluss auf die Schutzbefohlenen. Ihnen kommt eine Vorbildfunktion zu. Von religiös bestimmter Bekleidung geht – auch abhängig von dem Alter der betroffenen Schüler*innen – eine appellative Wirkung aus.
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In zunehmendem Maße werden muslimische Schüler*innen von Mitschüler*innen, aber auch aus Moscheen heraus, unter Druck gesetzt, das Kopftuch zu tragen oder andere religiös motivierte Verhaltensvorgaben (etwa Einhaltung der Fastenvorschriften) zu befolgen. Ein solcher Druck würde sich durch eine religiöse Bekleidung der Lehrkräfte erhöhen. Als Vertreter*innen des Staates würden diese Lehrkräfte dabei eine eindeutig bejahende Haltung zu einer bestimmten Auslegung des Korans ausdrücken. Auch wenn die einzelne Pädagogin nicht religiös beeinflussen will, kann bereits ihr Erscheinungsbild einen subtilen Druck ausüben. Gerade die jungen Grundschulkinder sind besonders beeinflussbar. Die bereits gegenwärtig schon auftretenden Konflikte an vielen Schulen in der Stadt um das „richtige“ islamische Verhalten und die „richtige“ islamische Bekleidung würden dadurch zusätzlich verstärkt. Eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens ist in Berlin schon jetzt gegeben.
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Es existieren auch Spannungen zwischen religiösen Gruppen untereinander. Wir dürfen außerdem nicht verschweigen, dass es ein Interesse von konservativen religiösen und islamistischen Kräften gibt, das Berliner Neutralitätsgesetz abzuschaffen.
Das Berliner Neutralitätsgesetz bringt Einschränkungen für Frauen, die das Kopftuch tragen wollen, aber auch für andere Menschen, die im Dienst religiöse Symbole tragen wollen. Es geht bei der Umsetzung staatlicher Neutralität nicht um eine Missachtung der Religionsfreiheit, sondern um Grenzen der Religionsfreiheit, die den Betroffenen lediglich eine räumlich und zeitlich eng gefasste Zurückhaltung während der Ausübung einer Tätigkeit im Öffentlichen Dienst abverlangt. An Berufsschulen ebenso wie an religiös ausgerichteten Privatschulen dürfen in Berlin Lehrer*innen religiöse oder weltanschauliche Symbole tragen, darunter auch das Kopftuch. Von einem „Berufsverbot“ kann deswegen nicht gesprochen werden.
Wir bewerten die Neutralitätspflicht des Staates, die negative Religionsfreiheit von 340.000 Schüler*innen und deren Eltern und den gesellschaftlichen Frieden in der Stadt höher, als die Einschränkungen der Religionsfreiheit durch das Berliner Neutralitätsgesetz in einem sehr engen Bereich.
Wir möchten mit unserer Initiative einen Beitrag leisten, das Berliner Neutralitätsgesetz zu erhalten. Unser Ziel ist es, damit den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt in unserer Stadt und seinen Schulen zu stärken.
Berlin, 21.11.2017