Samuel Schirmbeck gehört zu den Erstunterzeichner*innen des Aufrufs zum Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes. Der Journalist (u.a. langjähriger ARD-Korrespondent für Nordafrika), Autor und Filmemacher äußert sich, auch mit Blick auf seine langjährige berufliche Erfahrungen in islamischen Ländern, im Folgenden, warum er für eine strikte Beibehaltung religiöser Neutralität an Schulen für notwendig hält.
„Wenn schon der Islam sich in den Herkunftsländern der Flüchtlinge nicht verändert, sollte wenigstens der einen Million von Neu-Musliminnen und Neu-Muslimen, die inzwischen nach Deutschland gekommen sind, die Chance auf einen veränderten Blick auf den Islam erleichtert werden. Das Lehrerinnen-Kopftuch in Berlin aber versperrt ihn.“
Samuel Schirmbeck
Der Islam braucht kein Kopftuch, nur der Fundamentalismus braucht es.
Meine zehn Korrespondentenjahre in Nordafrika haben mir vor Augen geführt, dass nur der fundamentalistisch ausgerichtete Islam das Tragen des Kopftuches vorantreibt, notfalls mit Gewalt. Trug selbst die Religionslehrerin des grössten Gymnasiums von Algier Anfang der 90er Jahre kein Kopftuch während des Unterrichts vor ihrer Klasse, wurden bereits Ende der 90er Jahre in Marokko die wenigen Lehrerinnen, die noch kein Kopftuch trugen, solange gemobbt, bis sie aufgaben. Der „Theo-Populismus“, dessen Hauptziel die Frauenverschleierung ist, hat inzwischen Algerien in eine einzige „Frauenhintern-Überwachungsstation“ verwandelt, wie der algerische Journalist und Schriftsteller Kamel Daoud schreibt.
Während Musliminnen hierzulande sich als Opfer von Diskriminierung geben, wenn sie in staatlich neutralen Bereichen kein Kopftuch tragen dürfen,
verbreiten sie in Nordafrika, sobald sie in der Mehrheit sind, einen rücksichtslosen Psychoterror gegen Musliminnen , die kein Kopftuch tragen wollen. Das sollte man hier in Berlin endlich zur Kenntnis nehmen. In Berlin drohen die Opferhaltung fundamentalistisch orientierter Musliminnen und das aus der deutschen Vergangenheit resultierende Schuldbewusstsein der Linken ein Bündnis einzugehen, über das sich die Millionen Männer, die von Pakistan über Afghanistan bis nach Algerien und Marokko allesamt nach dem Kopftuch schreien, nur freuen könnten!
Das Kopftuch ist kein religiöses Zeichen im Islam, wie es beispielsweise als einer von vielen aufgeklärten Islamgelehrten der Imam von Bordeaux, Tarek Oubrou, in seinem Buch „Ein Imam im Zorn“ dargelegt hat. Oubrou plädiert deshalb ausdrücklich für eine „diskrete Visibilität“ des Islam in nichtislamischen Ländern und wendet sich gegen die „ostentative Zurschaustellung“ der Zugehörigkeit zum Islam, die auf eine säkulare Gesellschaft „verstörend“ wirken müsse.
Die Abschaffung des Berliner Neutralitätsgesetzes ginge in die entgegen- gesetzte Richtung. Sie nähme den neu zugewanderten Musliminnen die Chance auf einen kopftuchfreien staatlichen Schutzraum, der ihnen in ihren Herkunftsländern nicht zur Verfügung steht. Es ist schon schlimm genug, dass auch in Berlin und Deutschland kleine vorpubertäre Mädchen unter das Kopftuch gesteckt werden, so wie ich es in salafistischen Vororten von Tanger und anderswo in Nordafrika erlebt habe. Und nun soll es ihnen auch in Berliner Schulen als moralisch-religiöses Vorbild in Gestalt einer Autoritätsperson vorgesetzt werden!
Bis wohin will es die stille Allianz zwischen Islam(ismus) und Linken in Deutsch- land noch treiben, die allen emanzipatorisch eingestellten Musliminnen in den Rücken fällt? Haben die Verantwortlichen in Berlin nie zur Kenntnis genommen, was arabische Frauenrechtlerinnen wie Mona Eltahawy oder Wassyla Tamzali über die Arroganz der paternalistischen europäischen Linken geschrieben haben, die besser als die muslimische Aufklärung zu wissen vorgibt, wie „authentisches“ Muslim-Sein auszusehen hat? Die um ihres unaufgearbeiteten Nazi-Schuldkomplexes willen die Islamisierung des Islam auch in Deutschland vorantreiben, nach dem Motto: “Nie mehr Diskriminierung!“, obwohl sie damit dem Bemühen um Gleichberechtigung von Mann und Frau in der muslimischen Kultur voll entgegenarbeiten, wie es als eine unter vielen die marokkanische Bloggerin Myriam Arabi dargelegt hat?
Wenn schon der Islam sich in den Herkunftsländern der Flüchtlinge nicht ver- ändert, sollte wenigstens der einen Million von Neu-Musliminnen und Neu-Muslimen, die inzwischen nach Deutschland gekommen sind, die Chance auf einen veränderten Blick auf den Islam erleichtert werden. Das Lehrerinnen-Kopftuch in Berlin aber versperrt ihn.
Die einmalige Chance auf einen neuen Dialog in der bisher so unheilvollen Geschichte zwischen Orient und Okzident, die sich auf dem Boden der Bundesrepublik bietet, wird so vertan.
Samuel Schirmbeck
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