Prof. Dr. Susanne Lüdemann: Warum ich für den Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes eintrete

Dr. Susanne Lüdemann hat den Aufruf zum Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes unterzeichnet.  Warum sie sich für das Neutralitätsgesetz engagiert, begründet die Professorin für Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft  an der  Ludwig-Maximilians-Universität München so:

 

Im öffentlichen Raum soll das zur Darstellung kommen, was uns – alle, die wir hier leben – verbindet, nicht das, was uns trennt. … Unsere Bürgerinnen und Bürger, und besonders unsere minderjährigen Schülerinnen und Schüler – egal welcher Konfession -, haben ein Recht darauf, von den Repräsentant*innen staatlicher Befugnisse, mit denen sie zu tun haben und denen sie nicht ausweichen können (!), nicht mit deren persönlichen Glaubensbekenntnissen behelligt zu werden.

Susanne Lüdemann 

 

„Laizität – die Trennung von Religion und Staat – ist eine bedeutende Errungenschaft der Moderne. Gerade der Respekt vor der privaten Religionsfreiheit des einzelnen verpflichtet den Staat zur weltanschaulichen Neutralität.

Das bedeutet, dass er keiner Religion – auch nicht der christlichen – vor anderen den Vorzug geben darf. Dass bedeutet aber auch, dass Staatsbedienstete – Richter*innen, Staatswält*innen, Justizmitarbeiter*innen, Polizist*innen und Lehrer*innen – während der Dienstausübung ihren persönlichen Glauben (ebenso wie ihre persönlichen politischen Überzeugungen) weder in Worten noch in ostentativen Zeichen oder Taten demonstrieren dürfen. Als Repräsentant*innen des Staats sind sie im Dienst (und nur im Dienst!) ebenfalls zur Neutralität verpflichtet.

Das gilt nicht nur für Muslim*innen, sondern für alle Konfessionen. Insofern geht es hier keineswegs um ein einseitiges ‚Kopftuchverbot‘, auch wenn sich der gegenwärtige Streit um das Berliner Neutralitätsgesetz daran entzündet hat.

Was auf dem Spiel steht, ist jedoch viel mehr. Es ist eine tragende Wand moderner, konfessionsübergreifender Staatlichkeit, die mit der Abschaffung des Berliner Neutralitätsgesetzes eingerissen werden soll.

Im öffentlichen Raum soll das zur Darstellung kommen, was uns – alle, die wir hier leben – verbindet, nicht das, was uns trennt. Wir wirken in der Öffentlichkeit nicht durch unser persönlichliches Bekenntnis, sondern durch unser Einstehen gerade auch für die, die es nicht teilen. Ein gemeinsames Haus ohne tragende Wände wäre auf Sand gebaut. (Muss man im übrigen daran erinnern, dass selbst in der Türkei vor Erdogan und seit 1923 – 70 Jahre lang! – ein ‚Kopftuchverbot‘ an öffentlichen Einrichtungen galt, um Schulen und den öffentlichen Dienst so frei wie möglich von konfessionellen Auseinandersetzungen und Vorurteilen zu halten?)

Unsere Bürgerinnen und Bürger, und besonders unsere minderjährigen Schülerinnen und Schüler – egal welcher Konfession -, haben ein Recht darauf, von den Repräsentant*innen staatlicher Befugnisse, mit denen sie zu tun haben und denen sie nicht ausweichen können (!), nicht mit deren persönlichen Glaubensbekenntnissen behelligt zu werden.

Umgekehrt gesagt: Richter*innen, Staatswält*innen, Justizmitarbeiter*innen, Polizist*innen und Lehrer*innen – egal welcher Konfession -, denen ihr persönliches Bekenntnis wichtiger ist als die öffentliche Aufgabe, zu der sie sich verpflichtet haben, haben im öffentlichen Dienst nichts verloren und nichts zu suchen.

Wenn man aus Bayern kommt, wo immer noch in jedem Klassenzimmer ein staubiges Kreuz schief oben rechts in der Ecke neben dem Lautsprecher hängt, durch den die Schulleitung ihre höheren Befehle bellt, weiß man das Berliner Neutralitätsgesetz umso mehr zu schätzen. Es sollte nicht eingeschränkt oder abgeschafft werden, sondern dem Rest der Republik als Vorbild dienen.“

Susanne Lüdemann

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