Dr. Fritz Felgentreu: Warum ich für den Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes eintrete

Dr. Fritz Felgentreu,  SPD-Bundestagsabgeordneter (Wahlkreis Neukölln), gehört zu den Erstunterzeichner des Aufrufs für den Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes. Im folgenden begründet er sein Engagement:

 

„In Berlin gilt ein Neutralitätsgesetz, das keine Religion oder Weltanschauung einseitig bevorzugt oder diskriminiert. Der säkulare, neutrale Staat – der in Deutschland nie ein laizistischer, religionsfeindlicher gewesen ist – ist eine der größten Errungenschaften der Aufklärung. Er kann einer zunehmend diverseren Gesellschaft den stabilen Rahmen verleihen, weil er für keine der unzähligen Gemeinschaften innerhalb der Gesellschaft Partei ergreift. Deshalb ist es auch richtig, dem Gesicht dieses Staates, seinen Bediensteten, die Pflicht zur Wahrung eines neutralen Erscheinungsbildes aufzuerlegen. Im aufgeklärten Staat kann jeder nach seiner Fasson selig werden – aber nicht Beamter.“

Dr. Fritz Felgentreu

 

Eine multiethnische und multireligiöse Gesellschaft braucht einen neutralen Staat

 

In Berlin gilt ein Neutralitätsgesetz, das keine Religion oder Weltanschauung einseitig bevorzugt oder diskriminiert. Letztlich handelt es sich dabei um eine gesetzliche Kleiderordnung für die Justiz, die Polizei und für Lehrkräfte. Ihnen wird untersagt, solange sie hoheitlich tätig sind – also im Dienst –, Schmuck oder Kleidung zu tragen, durch die sie sich zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauung bekennen. Das betrifft das muslimische Kopftuch, aber auch die jüdische Kippa oder, wie wir vor kurzem erlebt haben, das Kreuz an der Halskette – vom Che-Guevara-T-Shirt ganz zu schweigen.

Der Hinweis auf die Rechtslage reicht aber als Positionsbestimmung erkennbar nicht aus. Konservative Muslime interpretieren das Neutralitätsgesetz als eine gegen den Islam gerichtete Diskriminierung. Unterstützung erhalten sie von all jenen, die der Auffassung sind, die Diversität der Gesellschaft müsse sich im Öffentlichen Dienst widerspiegeln, auch um Aufstiegs- und Integrationsperspektiven für die konservativeren Teile der muslimischen Bevölkerung zu eröffnen.

Mir ist es wichtig, die Auseinandersetzung auf dieser gesellschaftspolitischen Ebene zu belassen. Wer – auch angesichts offensichtlicher Meinungsver- schiedenheiten zwischen den Senaten des Bundesverfassungsgerichts – vorrangig mit der angeblichen Verfassungswidrigkeit des Berliner Neutralitätsgesetzes argumentiert, drückt sich um eine politische Antwort auf die Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft herum.

Wer den Ansatz des Neutralitätsgesetzes bewusst missversteht, um die konservativeren Teile der muslimischen Bevölkerung gegen die angebliche Diskriminierung muslimischer Frauen zu mobilisieren, dem geht es wahrscheinlich nicht um mehr Freiheit, sondern darum, eine politische Agenda voranzutreiben. Der politische Islam, die Ideologie der Muslim-Brüderschaft, kämpft auch in Berlin um Einfluss. Die Debatte um das Neutralitätsgesetz ist eine der Arenen, in denen heute dieser Kampf geführt wird.

Die liberalen Gegner des Neutralitätsgesetzes hingegen wollen den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken. Ich bin überzeugt: Sie bewirken letztlich unfreiwillig das Gegenteil.

Der säkulare, neutrale Staat – der in Deutschland nie ein laizistischer, religionsfeindlicher gewesen ist – ist eine der größten Errungenschaften der Aufklärung. Er kann einer zunehmend diverseren Gesellschaft den stabilen Rahmen verleihen, weil er für keine der unzähligen Gemeinschaften innerhalb der Gesellschaft Partei ergreift. Deshalb ist es auch richtig, dem Gesicht dieses Staates, seinen Bediensteten, die Pflicht zur Wahrung eines neutralen Erscheinungsbildes aufzuerlegen.

Es geht nicht, dass ein Polizist, der im Hochsommer während des Ramadan um Mitternacht in die Köllnische Heide gerufen wird, weil muslimische Nachbarn beim Fastenbrechen nicht zur Ruhe kommen, ein Kreuz am Hals trägt. Seine Ansprache könnte als nicht neutral wahrgenommen werden. In der Justiz können religiöse Symbole Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter oder Staatsanwälte wecken und so der Wiederherstellung des Rechtsfriedens im Wege stehen. Und wo auf jugendliche Mädchen von Seiten konservativer muslimischer Milieus ein hoher Anpassungsdruck ausgeübt wird, kann eine Lehrerin mit Kopftuch auch nonverbal dazu beitragen.

Natürlich können alle in diesen Beispielen aufgeführten Staatsbediensteten mit unerschütterlicher demokratischer Gesinnung auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Und natürlich kann sich ein penibel neutral gekleideter Lehrer als übler Extremist zu erkennen geben. Aber darum geht es beim Neutralitätsgesetz gar nicht. Entscheidend ist in allen diesen Fällen nicht die Perspektive der Staatsbediensteten, sondern derer, die mit ihnen zu tun haben. Sie dürfen möglichst nicht ins Zweifeln geraten, ob die Repräsentanten staatlicher Autorität ihnen ohne weltanschauliche oder religiöse Voreingenommenheit gegenüberstehen. Es gibt zwischen Staat und Bürger unzählige Gelegenheiten, Vertrauen zu erschüttern. Aber wenigstens die Kleidung der Beschäftigten kann davon ausgenommen werden.

Das Neutralitätsgesetz ist auch gegenüber dem eigenen Personal Ausdruck einer Grundhaltung, die heute wichtiger ist denn je. Im aufgeklärten Staat kann jeder nach seiner Fasson selig werden – aber nicht Beamter. Menschen, die die Mindestanforderung, in neutraler Kleidung zum Dienst zu erscheinen, für sich nicht akzeptieren können, sind für die Ausführung hoheitlicher Aufgaben in einem solchen Staat nicht geeignet. Die freie Gesellschaft bietet ihnen genügend andere Möglichkeiten, ihren Lebensentwurf zu verwirklichen.

 

Dr. Fritz Felgentreu MdB

 

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